Partizipative Medienkulturen
Der Gedanke der Partizipation bildet einen integralen Bestandteil moderner, demokratisch verfasster Gesellschaften. Mit dem Internet, speziell dem sog. Web 2.0, haben sich die Koordinaten sozialer, kultureller und politischer Partizipation in vergleichsweise kurzer Zeit anscheinend deutlich verschoben. Die Beiträge des Sammelbandes behandeln aus verschiedenen fachlichen Perspektiven die Frage, wie dieser Wandel angemessen beschrieben und eingeschätzt werden kann. Die Betrachtungen berücksichtigen nicht nur die Implikationen für politische Teilhabe, sondern gehen z.B. auch auf kulturelle Artikulationen im Netz und neue Formen der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Bildungs- und Erziehungskontexten ein.
Abschlussbericht
Am 13. und 14. Juli 2012 hat an der Otto-von-Guericke Universität Magdeburg das 5. Magdeburger Theorieforum stattgefunden. Das Theorieforum ist ein medienpädagogisches und medienwissenschaftliches Tagungsformat, das im Jahr 2005 von der „Theorie-AG“ der Kommission Medienpädagogik initiiert wurde und mittlerweile in Kooperation der Lehrstühle Allgemeine Pädagogik (Winfried Marotzki) und Erziehungswissenschaftliche Medienforschung (Johannes Fromme) der Uni Magdeburg mit der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft einmal jährlich an der Universität Magdeburg stattfindet. Ziel des Theorieforums ist es, zentrale Theoriediskurse aufzugreifen, zu bündeln und ohne den Druck der Transformation in handlungsrelevante Konzepte – sowie in relativ großzügig bemessenem Zeitrahmen – zu diskutieren.
Das Thema lautete in diesem Jahr „Partizipative Medienkulturen“. Insgesamt gab es zu diesem Rahmenthema sechs Vorträge, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen:
Gerhard Bukow und Jakob Dörre (Universität Magdeburg) befassten sich in ihrem Vortrag „Die Grenzen geteilten Handelns und neuer partizipativer Demokratieformen“ aus philosophischer Perspektive mit der grundlegenden Frage, inwieweit sich im Kontext der digitalen und vernetzten Medien neue oder doch nur längst bekannte Probleme der Beteiligung, der Aggregation von Urteilen und der Verhandlungsgerechtigkeit ergeben. Mit ihrer Vermutung, dass im Internet in dieser Hinsicht keine wirklich neuen Phänomene gebe, lösten sie eine lebhafte und durchaus kontroverse Diskussion aus.
Auch Heinz Moser (PH Zürich) fokussierte in seinem Vortrag „Die Veränderung der politischen Teilnahme im Zeitalter des Web 2.0“ auf die Frage einer möglichen Veränderung der politischen Teilhabe. Seiner Ansicht nach dokumentiert sich im Web 2.0 vor allem ein neues Politikverständnis, das aus einem klassischen Politikverständnis heraus zwar kritisiert werden kann (etwa im Hinblick auf die Langfristigkeit des politischen Engagements), auf das sich die „etablierte“ Politik und die Akteure der politischen Bildung aber gleichwohl einlassen müssten, wenn der Gedanke eines „Empowerment“ möglichst aller Gruppen ernst genommen werden soll.
Corinne Büching und Julia Walter-Herrmann (Universität Bremen) entwickelten unter der Überschrift „Neue Formen der participatory culture zwischen Subjekten und Medien“ den Gedanken, dass Jenkins‘ Konzept einer partizipativen Medienkultur als subjekt-zentriert einzustufen sei und ergänzt bzw. transformiert werden müsse um die Medien selbst, die mit ihren Spezifika in Partizipationen sozusagen „eigensinnig“ hineinwirkten. Sie verwiesen dabei auf Erfahrungen und Erkenntnisse aus einem laufenden Forschungsvorhaben, in dem Lernprozesse in Interaktionen mit digitalen Artefakten untersucht werden, deren Materialität und Komplexität „eigene“ Prägkräfte (im Sinne von Hepp) entfaltet.
Thorsten Lorenz (PH Heidelberg) zeigte in seinem primär medienhistorisch angelegten Beitrag „Die Popularität des Andersseins. Wie man Medieninklusion inszeniert“, dass Medien in einem bestimmten Sinne schon lange „partizipativ“ seien, weil sie gerade das Fremde, das Andersartige, das Stigmatisierte zeigen bzw. zur Schau stellten. Die moderne Inklusion, so die These, finde in den Massenmedien statt, in denen jeder ein Star werden könne. Inszenierte Inklusion ist freilich etwas anderes als das, was unter dem Label einer partizipativen Medienkultur erhofft wird. Damit stellt sich die Frage, inwiefern sich die Online-Medien der Logik der Massenmedien tatsächlich zu entziehen vermögen.
Kerstin Mayrberger (Universität Augsburg) ging ausgehend von Jenkins‘ Diagnose einer veränderten medialen Alltagskultur der Frage nach: „Inwiefern bedarf es im Kontext einer partizipativen Medienkultur auch einer partizipativen Mediendidaktik“. Sie entwickelte in ihrem Vortrag vor dem Hintergrund eigener Forschungsarbeiten die These, dass sich die Mediendidaktik mittel- und langfristig in der Tat verändern müsse, um im institutionellen Rahmen (mehr) Raum für partizipative Lernprozesse zu geben.
Benjamin Beil (Universität Siegen) ging in seinem Beitrag „Modding & Leveleditoren – vom ‚Construction Set‘ zur ‚Editor Community‘“ auf eine besonders prägnante Form einer zeitgenössischen partizipativen Medienkultur ein, nämlich die Modding-Szene, die sich mit der Veränderung (Modifikation) oder Erweiterung von Computerspielen befasst und ihre „Mods“ in der Regel kostenlos über das Internet verbreitet. Ähnlich wie die Bremer Forschungsgruppe ging es Beil darum zu zeigen, in welcher Weise die digitalen Werkzeuge (speziell die Leveleditoren) der „Modder“ die Partizipationsprozesse beeinflussen und welche Entwicklungen hier zu verzeichnen sind.
Das Format des Theorieforums hat sich 2012 aus Sicht der Veranstalter, der Referenten/innen und Teilnehmenden erneut bewährt, die Veranstaltungsreihe soll daher im kommenden Jahr weitergeführt werden.
Wie in den Vorjahren, sollen auch die Vorträge des 5. Magdeburger Theorieforums in einem Sammelband in der Reihe „Medienbildung und Gesellschaft“ beim VS Verlag publiziert werden. In den Band sollen auch jene Beiträge Eingang finden, die für das Theorieforum angeboten worden sind, aufgrund der begrenzten zeitlichen Möglichkeiten aber nicht in das Programm aufgenommen werden konnten.
Magdeburg, 28.8.2012, Johannes Fromme
Organisation
Die Organisation und Leitung liegt in diesem Jahr bei Winfried Marotzki und Johannes Fromme.