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Medien*Kritik:
Zur Normativität im Diskurs der fortgeschrittenen Informationsgesellschaft

Das 14. Magdeburger Theorieforum findet vom 30.06. bis 01.07.23 an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg im Modus einer Präsenzveranstaltung statt.

Den inhaltlichen Fokus des Theorieforums bildet die Frage nach dem Verhältnis von Medien und Kritik und dessen Bedeutung und Implikationen für Theorien und Ansätze der Medienpädagogik und Medienbildung.

Mit Blick auf die historische Entwicklung und Etablierung der Medienpädagogik als wissenschaftliche Disziplin lassen sich unterschiedliche Verständnisse von „Kritik“ feststellen, wie sie in einer ersten Phase medienpädagogischer Theoriebildung in Publikationen von Dieter Baacke, Werner Sesink, Norbert Meder und Winfried Marotzki u.a. zum Ausdruck kommen. In dieser Perspektive ist der Untertitel der Tagung als Anspielung auf eine Formulierung Baackes zu verstehen, die überindividuelle Gestaltungsziele der Medien­pädagogik und gesellschaftstheoretische Dimensionen von Medienkompetenz aufruft (Baacke 1974).

Verständnisse von Medienkritik werden unterschiedlich hergeleitet, begründet, in Fachtexten in unterschiedlichen Graden explizit und für die Medienpädagogik fruchtbar gemacht (Niesyto, Rath & Sowa 2006; Niesyto & Moser 2018). Implizite Verständnisse von Kritik, die also nicht transparent und explizit gemacht werden, finden sich in einer Vielzahl (medien)pädagogischer Ansätze und Theorien sowie in medienpädagogischer Praxis. Zielsetzungen, Leitbilder und normative Grundfiguren der Medienpädagogik scheinen in Anbetracht dieser Entwicklungen einer kritischen Überprüfung zu bedürfen (Bettinger & Reißmann 2022). Deren Explikation und Begründung sowie sie auf diese Weise für fachliche Kritik zu erschließen, ist ein wichtiges Teilanliegen des Theorieforums. 

Zu beobachten ist in den letzten Jahren ein erneuter Wandel von Kritikverständnissen, was theoretische Bezüge der Kritik (Macgilchrist 2021) als auch deren Gegenstände betrifft (Niesyto & Moser 2018). Geschuldet ist dieser Wandel gesellschaftlichen Veränderungen, die nach Neujustierungen pädagogischer Kritik und ihrer Begründungsfiguren verlangen. Mit den anhaltenden Veränderungen des Gegenstandsbereichs, etwa in Form der zunehmenden algorithmischen Durchdringung des Alltags, der Verbreitung von politischer Desinformation und Manipulation, etwa in rechtsradikalen Online-Communities, dem Fortschreiten digital-kapitalistischer Strukturen oder globalen Krisen wie dem Klimawandel, transformieren sich auch die Ausgangsbedingungen für Kritik. Zudem fällt auf, dass der Kritikbegriff unter anderem im Zusammenhang mit den neuerdings an Dynamik gewinnenden Diskursen um zeitgemäße Kompetenzen, Skills, oder Literalitäten (erneut) in den Mittelpunkt rückt. So findet sich etwa im Kontext der sogenannten „21st Century Skills“ ein deutlicher Rekurs auf einen Kritikbegriff. Ähnliches gilt für Dimensionen von Kritik in Varianten von Data Literacy – zwischen ‚kritischem Denken‘ liberaler Tradition und einer fundamentalen Gesellschaftskritik (Barberi, Grabensteiner & Himpsl-Gutermann 2021).

Ziel des diesjährigen Theorieforums ist die kritische Diskussion und Reflexion von Kritikbegriffen in aktuellen fachwissenschaftlichen Diskursen, ihre normativen Gehalte sowie deren Bedeutung für Medienpädagogik / Medienbildung hinsichtlich Theorie, Methodologie und Praxis.

Folgende Themen und Fragen stehen beispielhaft für mögliche Anknüpfungspunkte einer Diskussion:

  • Welche (Internet-)Phänomene werden medienpädagogisch als kritikwürdig beurteilt und auf welcher theoretischen Grundlage?
  • Auf Basis welcher Grundannahmen können außerwissenschaftliche Phänomene der Medienkritik wie fachwissenschaftlich kritisiert werden?
  • In welchem Zusammenhang stehen medienpädagogische Selbstverständnisse, Ethiken, Theorieperspektiven und Medien*Kritik?
  • In welchen Begründungszusammenhängen wird Kritik verhandelt, welche Normen und Normalisierungen gesetzt und welche Ein- und Ausschließungen werden erzeugt?
  • In welchem Verhältnis stehen Kritik und Normativität? Welche normativen Grundlagen sind (explizit und implizit) in Kritikbegriffen enthalten?
  • Inwieweit können sich neuere Figuren von Kritikalität oder des Kritik-Übens als fruchtbar für medienpädagogische Diskussionen erweisen – etwa in einer „Post-Kritischen Pädagogik“, in Anschlüssen an postsouveräne, spekulative oder generative Konzeptionen von Kritik?

Interessent*innen sind herzlich eingeladen, bis zum 30. April 2023 (verlängert) ein kurzes Abstract im Umfang von maximal 500 Wörtern exkl. Literatur an theorieforum@ovgu.de zu schicken (Titel, Fragestellung, Theoretische Bezüge).

Über die Präsentation im Rahmen des Theorie­forums hinaus besteht die Möglichkeit, einen entsprechenden Fachartikel im geplanten Sammelband zu publizieren. Die Mitteilung über die Annahme der Abstracts erfolgt bis zum 15. Mai 2023. Einreichungen von interdisziplinär ausgerichteten oder aus anderen Fachdisziplinen als der Medienbildung bzw. Bildungswissenschaft stammenden Beiträgen sind ausdrücklich erwünscht. Das Theorieforum soll Raum zum intensiven und auch fachübergreifenden Austausch bieten, daher umfassen die Slots für die Vorträge bis zu 90 Min. (45 Min. Vortrag und 45 Min. Diskussion).

Das Theorieforum 2023 wird in einer Kooperation durchgeführt von

  • Prof. Dr. Patrick Bettinger, Professur für Medienbildung an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg;
  • Prof. Dr. Valentin Dander, Professur für Medienbildung und pädagogische Medienarbeit an der Hochschule Clara Hoffbauer Potsdam (HCHP) und
  • Prof. Dr. Stefan Iske, Professur für Pädagogik und Medienbildung an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg;
  • sowie dem lokalem Organisationsteam: Katrin Wilde (MA-Medienbildung) und Verena Kittelmann (MA-Medienbildung).

gemeinsam mit der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE).

Literatur

Baacke, D. (Hrsg.). (1974). Kritische Medientheorien. Konzepte und Kommentare. Juventa.

Baacke, D. (1975). Kommunikation und Kompetenz. Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien (2. Aufl.). Juventa.

Baacke, Dieter (1997). Diskurs der Informationsgesellschaft. In: Deutscher Bundestag (Hg.), Medienkompetenz im Informationszeitalter. Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft. Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft, S. 23-28.

Baacke, D. (1996). Medienkompetenz—Begrifflichkeit und sozialer Wandel. In A. von Rein (Hrsg.), Medienkompetenz als Schlüsselbegriff (S. 112–124). Klinkhardt.

Barberi, A., Grabensteiner, C., & Himpsl-Gutermann, K. (2021). Editorial 3/2021: Data Literacy – Datenkompetenz – Datenbildung. Medienimpulse, 59(3), Art. 3. https://doi.org/10.21243/mi-03-21-20

Reißmann, W., & Bettinger, P. (2022). Digitale Souveränität und relationale Subjektivität. Neue Leitbilder für die Medienpädagogik? Editorial. merz – medien+erziehung – Zeitschrift für Medienpädagogik, 66(6 / Dezember), 3–12.

Hodgson, N., Vlieghe, J., & Zamojski, P. (2022). Manifest für eine Post-Kritische Pädagogik. In M. Bittner & A. Wischmann (Hrsg.), Kritik und Post-Kritik. Zur deutschsprachigen Rezeption des »Manifests für eine Post-Kritische Pädagogik« (S. 19–24). transcript Verlag. https://doi.org/10.14361/9783839459799-002

Macgilchrist, F. (2021). What is ‘critical’ in critical studies of edtech? Three responses. Learning, Media and Technology, 46(3), 243–249. https://doi.org/10.1080/17439884.2021.1958843

Meseth, W., Casale, R., Tervooren, A., & Zirfas, J. (2019). Normativität in der Erziehungswissenschaft. https://doi.org/10.1007/978-3-658-21244-5

Niesyto, H., & Moser, H. (Hrsg.). (2018). Medienkritik im digitalen Zeitalter. kopaed. https://horst-niesyto.de/wp-content/uploads/2020/05/2018_Niesyto_Moser_Medienkritik_kopaed_Online.pdf

Niesyto, H., Rath, M., & Sowa, H. (Hrsg.). (2006). Medienkritik Heute: Grundlagen, Beispiele und Praxisfelder. kopaed. https://horst-niesyto.de/wp-content/uploads/2020/08/2006_Niesyto-Rath-Sowa_Medienkritik_heute_Onlineversion.pdf