Den Call als PDF herunterladen

Die Anthropomedialität des Pädagogischen. Sondierungen medientheoretischer und medienphilosophischer Debatten zur Frage des ‚Menschseins‘

Dass Medialität als konstitutive Dimension des ‚Menschseins‘ gelten kann, legen nicht nur gegenwartsdiagnostische Einlassungen zum Begriff der (Post-)Digitalität nahe. Die Annahme, dass sich „der Mensch in einem koevolutionären Verhältnis mit seiner Technik“ (Hartmann 2013, S. 35) befindet, ist bereits eine zentrale Einsicht des deutschen Idealismus. In den letzten Jahren haben die Diskussionen darüber vor allem in den Medien- und Kulturwissenschaften sowie besonders in der Medienphilosophie an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewonnen. Unter dem Schlagwort der ‚Medienanthropologie‘ bzw. ‚Anthropomedialität‘ werden hier intensiv neue Betrachtungsweisen von Mensch-Medien-Verhältnissen verhandelt (vgl. bspw. Müller 2010; Engell, Hartmann & Voss 2013; Voss, Krtilova & Engell 2019; Engell & Voss 2021). Eine bedeutsame Denkfigur in diesem Diskurszusammenhang besteht in der Notwendigkeit einer Fokussierung auf das Primat der Operativität von Medien, um Medien in ihrer Prozesshaftigkeit zu verstehen: „Den Begriff der Medien bzw. des Medialen aus der Perspektive des Medialitätsbegriffs theoretisch in den Blick nehmen, heißt also, die Prozeduralität der Medien in den Blick zu nehmen“ (Jäger 2015, S. 110). Medien in dieser Hinsicht zu betrachten, impliziert die Annahme multipler Zusammenhänge und Interdependenzen und schließt somit auch einen (als mehr oder weniger gewichtig konzipierten) ‚menschlichen Faktor‘ mit ein. In diesem Sinne lässt sich etwa „nach den performativen Prozessen und relationalen Konstellationen [fragen], kraft und mittels derer menschliche Lebenspraxis sich realisiert“ (Schürmann 2015, S. 139), ohne in einen anthropozentrischen Automatismus zu verfallen. 

Die neueren medientheoretisch und medienphilosophisch gelagerten Diskussionen um Anthropomedialität haben bislang allerdings nur punktuell Einzug in medienpädagogische Debatten gehalten – ‚digitale Medialität‘ als anthropologische Kategorie konsequent in pädagogische Reflexionen einzubeziehen (Jörissen 2014), stellt nach wie vor ein Desiderat dar und eher selten werden die zugrundeliegenden Menschenbilder in der medienpädagogischen Literatur umfänglich thematisiert oder gar hinterfragt.[1] In Anbetracht gegenwärtiger medientechnologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen sieht sich die die Erziehungswissenschaft im Allgemeinen und die Medienpädagogik im Besonderen allerdings mehr denn je mit der Frage konfrontiert, ihre Vorstellung des ‚Menschseins‘ – also ihre anthropologischen Prämissen – kritisch zu reflektieren und gegebenenfalls zu modifizieren und zu erweitern. 

Das Magdeburger Theorieforum 2025 widmet sich angesichts der dargestellten Herausforderungen dem Themenkomplex der Anthropomedialität. Ziel des Theorieforums ist die Diskussion und Reflexion des Anthropomedialen für fachwissenschaftliche Diskurse der Medienpädagogik sowie ihrer Theorie, Praxis und Methodologie. Mögliche Fragen, die im Rahmen der theoretisch orientierten Beiträge diskutiert werden können, sind: 

  • Welche neuartigen Mensch-Medien-Verhältnisse treten angesichts sich dynamisch entwickelnder Medientechnologien zutage? 
  • Wie kann Bildung unter anthropomedialen Verhältnissen bestimmt werden? Wie lässt sich dies theoretisch und methodologisch fassen?
  • Wie lassen sich Konzepte wie ‚Agency‘, ‚Reflexivität‘ oder ‚Selbst- und Weltverhältnisse‘ (neu) denken, wenn digitale Medialität (aktuell insbesondere in Form generativer KI) zunehmend konstitutive und performative Kraft entfaltet?
  • Wie kann eine zeitgemäße pädagogische Verhältnisbestimmung von Medialität, Materialität und Sozialität aussehen?
  • Welche Relevanz haben vorsprachliche Ausdrucksmodalitäten digitaler Medienarchitekturen für Fragen pädagogischer Menschenbilder?
  • Wie lässt sich Leiblichkeit und Verkörperung oder auch Affekthaftigkeit in einer zunehmend digital geprägten Welt aus anthropologischer Sicht theoretisch begreifen?
  • Welche trans- und interdisziplinären Bezüge (u.a. zu den Medien- und Kulturwissenschaften) sind erforderlich, um medienpädagogische Theorie angemessen weiterzuentwickeln und dabei den komplexen Wechselwirkungen zwischen technologischen, kulturellen und anthropologischen Dimensionen gerecht zu werden?
  • Wie kann eine pädagogische Reflexion normativer Prämissen aussehen, wenn wir von der Konstitutivität anthropomedialer ‚Existenzweisen‘ ausgehen?

Abstracts im Umfang von ca. 500 Wörtern (zzgl. Literatur) können bis zum 31.03.2025 an theorieforum@ovgu.de eingereicht werden. Die Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung der Beitragsvorschläge erfolgt bis zum 14. April 2025. Die Anmeldung zum Theorieforum ist voraussichtlich ab Ende April möglich. Einreichungen von interdisziplinär ausgerichteten oder aus anderen Fachdisziplinen als der Medienbildung bzw. Erziehungswissenschaft stammenden Beiträgen sind ausdrücklich erwünscht. Das Theorieforum soll Raum zum intensiven Austausch bieten, daher umfassen die Slots für die Vorträge bis zu 90 Min. (45 Min. Vortrag und 45 Min. Diskussion).

Das Organisationsteam an der OvGU:

Prof. Dr. Patrick Bettinger Dr. Ralf Biermann
Prof. Dr. Stefan IskeM.A. Anna-Lena Brown
JProf. Dr. Christian Leineweber 

in Kooperation mit der Sektion Medienpädagogik der DGfE

Literatur:

Engell, Lorenz/Frank Hartmann/Christiane Voss (Hrsg.) (2013). Körper des Denkens. Neue Positionen der Medienphilosophie. München: Wilhelm Fink.

Engell, Lorenz/Voss, Christiane (2021). Die Relevanz der Irrelevanz: Aufsätze zur Medienphilosophie. Paderborn: Verlag Wilhelm Fink.

Hartmann, Frank (2013). Medien sind keine „Begriffe“. In Lorenz Engell/Frank Hartmann (Hrsg.), Körper des Denkens. Neue Positionen der Medienphilosophie. München: Wilhelm Fink. S. 29–47.

Jäger, Ludwig (2015). Medialität. In Ekkehard Felder/Andreas Gardt (Hrsg.), Handbuch Sprache und Wissen. Berlin & Boston: de Gruyter. S. 106–122.

Jörissen, Benjamin (2014). Digitale Medialität. In Christoph Wulf/Jörg Zirfas (Hrsg.), Handbuch Pädagogische Anthropologie. Wiesbaden: Springer. S. 503–513. 

Müller, Oliver (2010). Zwischen Mensch und Maschine: vom Glück und Unglück des Homo faber. Berlin: Suhrkamp.

Pietraß, Manuela/Jörg Zirfas (Hrsg.) (2024). Homo digitalis. Neue Fragestellungen der Medienpädagogik aus anthropologischer  Perspektive. Themenheft  63,  MedienPädagogik  –  Zeitschrift  für  Theorie  und  Praxis  der  Medienbildung.  Zürich:  OAPublishing Collective.  https://doi.org/10.21240/mpaed/63.X.

Schürmann, Eva (2015). Vom Abwesenden zeugen: Die projektive Praxis des Darstellens. In Christiane Voss/Lorenz Engell (Hrsg.), Mediale Anthropologie. Paderborn: Wilhelm Fink. S. 139–152.

Voss, Christiane/Katerina Krtilova/Lorenz Engell (Hrsg.) (2019). Medienanthropologische Szenen. Die conditio humana im Zeitalter der Medien. Paderborn: Wilhelm Fink.


[1] Siehe als Ausnahme das kürzlich von Manuela Pietraß und Jörg Zirfas herausgegebenen Themenheft „Homo digitalis. Neue Fragestellungen der Medienpädagogik aus anthropologischer Perspektive“ in der Zeitschrift MedienPädagogik https://www.medienpaed.com/issue/view/126